Was wir von Steubenville über r*p*e culture lernen (2024)

[Inhaltswarnung: sexualisierte Gewalt, Victim Blaiming, R*p* Culture; Auschreibung von r*p* – gilt auch für alle Links]

In den deutschsprachigen Medien wird immer noch gern davon berichtet, dass wieder furchtbare Fälle von sexualisierter Gewalt in Indien vorgefallen sind. Diese Geschichten passen einfach zu gut in westliche Diskurse, wie ja auch schon Viruletta hier feststellte:

Denn eben diese Berichterstattung spielt Argumentationsmustern in die Hände, die den sogenannten “Westen” als zivilisiert, fortschrittlich und überlegen darstellen und die von ihm kolonialisierte Welt dagegen als barbarisch, rückständig und minderwertig inszenieren.

Um so größer ist das Schweigen der deutschen Medien zum Prozess in Steubenville, Ohio, wo am 17. März zwei Jugendliche verurteilt wurden. Die ZEIT berichtete online am 16., 17., 18. und 19. März über sexualisierte Gewalt in Indien. Es gibt keinen einzigen Text zu Steubenville. Bei SpiegelOnline und der Süddeutschen sind relativ kurze Artikel versteckt in der Rubrik „Panorama“. Panorama.

Am 11. August 2012 erfährt eine 16-jährige Schülerin nach einer Party von zwei gleichaltrigen Mitschülern mehrfach sexualisierte Gewalt. Teile dieser Gewaltakte werden darüber hinaus gefilmt und fotografiert. Aufnahmen werden im Internet und über Handys verbreitet. Es gibt offensichtlich beistehende Personen. Die Taten werden wiederholt über unterschiedlichste Social Media Kanäle kommentiert, die Schülerin wird immer weiter beschimpft. Am Sonntag nun wurden die Haupttäter verurteilt, beide haben ein Jahr für die V*rg*w*lt*g*ng bekommen, einer der Täter noch ein zusätzliches Jahr für das Verbreiten von Nacktbildern einer Minderjährigen. Später im Frühjahr wird noch eine Große Jury entscheiden, ob weitere Anklagen erhoben werden.

Eigentlich sollten wir an dieser Stelle schließen können. Mit ein paar solidarischen Worten für die Betroffene. Mit Wut über die Tat. Mit dem Gefühl, dass wenigstens einmal Täter sexualisierter Gewalt verurteilt wurden. (Obwohl sich das Strafmaß sicher streiten lässt.) Aber so einfach ist das alles wie immer nicht, denn der Steubenville-Fall entwickelte sich in den letzten Monaten zu einem Paradebeispiel dafür, wie rape culture funktioniert.

  1. Natürlich fängt es mit der Tat an sich an. Dass sie möglich war. Dass es Zeug_innen des Hergangs gab, die statt einzugreifen pöbelten und Fotos machten. Dass viele der Anwesende nicht klar artikulieren konnten und wollten, dass dort Gewalt geschieht.
  2. Das betroffene Mädchen kann sich nicht an die Taten als solche erinnern, sie war betrunken. Dieser Fakt wurde immer wieder zum Thema gemacht. Anstatt das als weiteres Indiz zu nehmen, dass sie keinesfalls zu sexuellen Handlungen zugestimmt haben kann, wurde es genutzt, um victim blaiming zu betreiben. „Wäre sie nicht betrunken gewesen, dann wäre das nicht passiert.“ Dabei sollte die Gleichung wie folgt lauten: „Wären keinen Täter sexualisierter Gewalt anwesend gewesen, hätte sie keine sexualisierte Gewalt erleben müssen.“
  3. Einer der Täter sagte in seiner „Entschuldigung“: „Die Fotos hätten nicht veröffentlicht oder überhaupt gemacht werdendürfen.“ Dass er diese Konsequenz zieht, ist fast schon logisch, wenn mensch die vielen Beiträge liest und hört, die darauf hinweisen, dass Steubenville zeige, wie gefährlich Social Media sein könne. Aber nein, Steubenville ist kein „Social Media gone wrong„-Fall. Hätte es nichts zum Aufzeichnen gegeben in erster Instanz, dann hätte ja auch nichts verbreitet werden können. Letzten Endes hat das vorhandene Material vor allem dazu geführt, dass Täter verurteilt wurden. Denn das passiert in den USA genauso wie in Deutschland viel zu selten. Fast nie reichen die Aussagen und Beweise aus, die Betroffene vorbringen – falls sie überhaupt anzeigen. Das heißt nicht, dass es toll ist, dass diese Bilder und Videos kursier(t)en. Mensch kann sich kaum vorstellen, was dies für die Betroffene bedeutet. Vor allem aber auch, da rape culture dazu einlädt, ihr Schuld zu geben, sie zu beschimpfen.
  4. Und dann all die Sympathie, die die Täter bekamen. Am Tag der Urteilsverkündung berichtete zum Beispiel CNN ausgiebig darüber, dass ja nun das Leben dieser vielversprechenden jungen Männer, schließlich waren sie die Football-Stars der kleinen Stadt, zerstört sei. Was wenn nicht rape culture kann es ermöglichen, dass gerade verurteilte Sexualstraftäter als vielversprechend gelobt werden. Mit keinem Wort erwähnte CNN die Betroffene. Die unglaublichen Probleme, die diese bewerkstelligen muss. Denn sie wurde nicht nur Opfer sexualisierter Gewalt, musste erleben, wie unglaublich viele Menschen Bilder und Videos dieser Taten sahen und diskutierten, sondern muss sich tatsächlich immer wieder gegen Angriffe wären, dass sie zum einen Schuld an der Tat sei und mit dem Prozess „alles kaputt“ mache.

Steubenville macht wütend. Auf so vielen Ebenen. Steubenville zeigt sehr deutlich in allen Facetten, was rape culture bedeutet und wo Betroffene in eben dieser stehen, was sie neben der Gewalttat ansich erleiden müssen. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, die Forderung „Nur Ja heißt Ja“ immer wieder zu stellen. Steubenville zeigt auch, dass es westlichen Medien natürlich leichter fällt den Finger auf Indien zu zeigen.

Weitere Texte auf Englisch zum Thema:

Why Does America Pretend It Doesn’t Hate Women“ von Anisha Ahuja. 05.03.2013.

Only ‚Yes‘ Means Yes: What Steubenville’s Rape Trial Reminds Us About Sexual Consent“ von Jaclyn Friedman und Jessica Valenti. 15.03.2013.

Steubenville text messages and the confusion over consent“ von Zerlina Maxwell. 15.03.2013.

Steubenville Rape Trial Verdict is in, But We’re Incorrectly Placing Blame“ von Lauren Slavin. 18.03.2013.

I Am Not Your Wife, Sister Or Daughter. I Am A Person.“ von Ann Theriault. 18.03.2013.

Steubenville: this is rape culture’s Abu Ghraib moment“ von Laurie Penny. 19.03.2013.

Responses to the Steubenville Verdict Reveal Rape Culture“ von Lisa Wade. 19.03.2013.

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